Care- und Vorsorgewirtschaft
Wir wollen eine wirksame Unterstützung für die Pflege von Angehörigen. Care-Arbeit findet oft ohne Entlohnung, Ausgleich oder Ferienzeit im engsten Familienkreis statt. Oft sind es Frauen, die diese Care-Arbeit übernehmen. Wir wollen eine wirksame Unterstützung für die Pflege von Angehörigen, damit pflegebedürftige Menschen möglichst lange selbstbestimmt ihren Alltag zu Hause bewältigen können. Wir wollen zudem Entlastungsmassnahmen für pflegende Angehörige.
Arbeitsgruppe Leiterin, Karin Steinegger, können Sie hier kontaktieren [email protected]
Care-Arbeit mit Fokus auf betreuende Angehörige – Version Sept. 2022
Begriff „Care-Arbeit“
Mit dem Begriff Care-Arbeit wird die Tätigkeit des Sorgens und sich Kümmerns beschrieben (Definition nach dem Bundesamt für Statistik). Es gehört die Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch die familiäre Unterstützung oder die häusliche Pflege dazu (ebd). Es gilt zwischen der bezahlten und der unbezahlten Care-Arbeit zu unterscheiden. Zur bezahlten Care-Arbeit gehören die Angebote der Kindertagesstätten, der Heime, der Spitex, der Spitäler und weiterer Institutionen. Zur unbezahlten Care-Arbeit gehören die erbrachten innerfamiliären Leistungen, wie die Kinderbetreuung, die Betreuung, Begleitung und Unterstützung der jungen und älteren Angehörigen mit einer Beeinträchtigung, nicht aber die Haushaltsführung. Wichtig ist einleitend auch festzuhalten, dass unbezahlte Care-Arbeit als Begriff nicht mit dem Begriff unbezahlte Arbeit gleichgesetzt werden kann, da in letzteren auch die freiwillige ehrenamtliche Arbeit mitberücksichtigt wird.
Der Fokus dieses Positionspapiers liegt auf pflegenden Angehörigen.
Das Eidgenössische Büro für Gleichstellung von Frau und Mann, EBG (Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit, 2010) schreibt, «dass weder die berufliche Laufbahn, noch die soziale Absicherung leiden soll, wenn Personen unbezahlte Care-Arbeit leisten.» Weiter schreibt das EBG, dass «unbezahlte sowie bezahlte Care-Arbeit mehr Beachtung in wirtschaftlichen und sozialpolitischen Überlegungen finden soll.[1]» Zudem soll sie unter Bedingungen geleistet werden können, die ihrer Bedeutung und ihrer Besonderheit angemessen sind.
Care-Arbeit in Zahlen mit Fokus auf betreuende Angehörige
In der Schweiz pflegen laut der Bedürfnis- und Bedarfsabklärung von betreuenden Angehörigen (2019) 11,5% der Wohnbevölkerung ihre Angehörigen. Dieser Prozentsatz beinhaltet keine Betreuung der eigenen Kinder. Der prozentual grösste Teil der Betreuung leisten Personen zwischen 50 und 64 Jahren. Laut dem BFS wenden Frauen für die Betreuung von erwachsenen Personen jährlich 20 Millionen Stunden auf. Weiter zeigt die Bedürfnis- und Bedarfsabklärung von betreuenden Angehörigen auf, dass über die gesamte Schweiz gesehen, die Anteile der Personen, die Angehörige pflegen, sehr ähnlich verteilt sind. Zwei Drittel der betreuenden Angehörigen sind erwerbstätig. Knapp 30% der der betreuenden Angehörigen leben mit den zu betreuenden Personen im gleichen Haushalt. Mit einem Anteil von 50% werden meist die (Schwieger-)Eltern betreut. Zu den häufigsten Aufgaben von Angehörigen gehört die Kategorie «Finanzen & Administratives». Diese Kategorie gehört mit knapp 38% zu den fast immer geleisteten Aufgaben. Die Kategorie «Betreuung & Pflege» gehört bei knapp 10% der pflegenden Angehörigen zum Alltag. Der Median der Betreuungsdauer liegt bei fünf Jahren, wobei viele Pflegende einen langsamen Start in die Betreuungstätigkeit erleben. Von einem Viertel der betreuenden Angehörigen werden Spitex-Leistungen genutzt. Für pflegende Angehörige gehören folgende Punkte zu den Hindernissen für eine Hilfeinanspruchnahme: Fehlende Informationen, fehlende Akzeptanz sowie Unklarheiten betreffend Inanspruchnahme von Hilfe (ebd.).
Mit dem demografischen Wandel wird der Bedarf an Betreuung bei älteren Personen steigen. Das Bundesamt für Statistik geht davon aus, dass sich die Zahl der Seniorinnen und Senioren ab 80 Jahren bis ins Jahr 2050 mehr als verdoppeln wird (Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz und der Kantone 2020-2050, 2020). Im Jahr 2020 waren es 0,64 Millionen, 2050 wird mit 1,11 Millionen Personen gerechnet. Weiter rechnet das BFS im Jahr 2050 mit 2,67 Millionen Personen, die 65 Jahre und älter sind. Im Jahr 2020 waren es lediglich 1,64 Millionen (ebd.). Aufgrund dieser Zahlen, wird davon ausgegangen, dass es zukünftig noch viel mehr betreuende Angehörige geben wird.
Zentrale Feststellungen
- Auswirkungen auf die wirtschaftliche Sicherheit
- Die Betreuungsarbeit hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche Sicherheit der (erweiterten) Familie. Damit im Alltag Kapazität oder Zeit und Raum für die Care-Arbeit besteht, gehen Frauen oft nur einer Teilzeiterwerbsarbeit nach oder reduzieren in späteren Lebensjahren ihren Anstellungsgrad, damit sie die Begleitung der älteren Generation gewährleisten können. Dies führt dazu, dass die erzielten Erwerbseinkommen sowie zukünftige Renten geschmälert werden.
- Es fallen neben den direkten Kosten weitere zusätzliche Kosten für die Betreuung an, welche die betreuenden Angehörigen tragen z.B. Transportkosten. Diese sogenannten Out-of-Pocket-Ausgaben werden im Erwerbsleben in der Regel vom Arbeitgebenden erstattet. Bei den betreuenden Angehörigen fällt die Finanzierung durch den Arbeitgeber in den meisten Fällen weg.
- Die Tragbarkeit der ergänzenden externen Betreuung ist oft nicht gegeben, daher wird aus finanziellen Gründen auf Entlastungsangebote verzichtet. Im Vergleich zum Ausland wird in der Schweiz ein grosser Teil der Gesundheitskosten selbst bezahlt. Die kantonal unterschiedlich hohen Pflegebeteiligungen führen zusätzlich zu Ungleichbehandlungen. Bei Pflegeleistungen Zuhause liegt die maximale Pflegebeteiligung pro Jahr bei CHF 5’602.75, bei Pflegeleistungen im Pflegeheim liegt die maximale Beteiligung pro Jahr bei CHF 8’395.-. Diese Kosten sind unabhängig der obligatorischen Krankenversicherung geschuldet und können auch nicht mit der Versicherung abgerechnet werden. Sind die Pflegekosten durch die Versicherungsleistungen sowie durch die Pflegeleistungen nicht gedeckt, kommen Kantone und/oder Gemeinden als Restfinanzierende für die Finanzierungslücke auf[2].
- Entlastungsangebote
- Die Betreuungsaufgaben sind schlecht mit dem Beruf vereinbar. Sie verlangen von Arbeitgebenden eine hohe Flexibilität und Verständnis für die Situation. Hier herrscht viel Aufklärungsbedarf, so wie auch konkrete gesetzliche Bestimmungen.
- Angesichts der älterwerdenden Gesellschaft sind die Entlastungsangebote für Ferien und Wochenenden oder bei Krankheitsausfall ungenügend vorhanden.
- Die Unterstützung durch ausländische Staatsangehörige bleibt derzeit attraktiv, da sie billiger und manchmal qualitativ besser (individuell an den Bedürfnissen angepasst) ist.
- Regionale Unterschiede
- Regionale Unterschiede in den Angeboten führen zur Ungleichbehandlung der pflegenden Angehörigen.
- Schlechte Datenbasis auf nationaler Ebene über die Bedürfnisse der Pflegenden.
- Die Unterschiede zwischen den Landesteilen sind immens. Hinzu kommen die kantonalen Unterschiede sowie der Stadt-Land-Graben. Falls Entlastungmöglichkeiten vorhanden sind, müssen diese je nach Region unterschiedlich beantragt werden. Vorhandene Angebote sind unterschiedlich niederschwellig ausgebaut. Die Kostenbeteiligungen durch die Kantone oder Gemeinden insbesondere im Rahmen der Pflegebeteiligung sind kantonal unterschiedlich geregelt.
- Live-In-Betreuung
- Bei diesem Konzept der Pflege leben Pflegende direkt bei der hilfesuchenden Person und sind somit rund um die Uhr eine direkte Ansprechperson. Aufgrund des Spardrucks werden oft ausländische Staatsangehörige eingestellt. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in einigen europäischen Ländern nehmen Staatsangehörige dieser Länder Verpflichtungen u. a. von Arbeitsvermittlungsagenturen an, die oft problematisch sind.
- Die Finanzierung muss geklärt werden. Wenn die Haushalte die Pflege selbst finanzieren müssen, wird es immer zu Ausbeutung kommen oder aber arme Haushalte können sich die Pflege nicht (mehr) leisten.
Forderungen
- Die Pflege soll über Steuern, Versicherungen oder ähnliches finanziert werden, damit sich alle Haushalte eine angemessene und bedarfsabhängige Pflege leisten können.
- Pflegende Angehörige sollen genau wie andere Arbeitnehmende versichert sein.
- Es soll koordiniert regionale Versorgungsstrukturen zur Entlastung von pflegenden Angehörigen geschaffen werden – dazu gehören auch Entlastungsangebote für Ferien und Wochenenden. Diese Entlastungsangebote führen indirekt auch zu Kosteneinsparungen im Rahmen der Gesundheitskosten, da die Gefahr einer Überlastung abnimmt. Die öffentlich finanzierten Angebote (auch in den Institutionen) sollen qualitativ gut und bezahlbar sein.
- Kantonale und regionale Anlaufstellen für Betroffene sollen geschaffen werden, damit insbesondere über rechtliche und finanzielle Aspekte informiert werden kann.
- Damit ausländische Pflegekräfte insbesondere in der Live-in-Betreuung vor Ausbeutung geschützt sind, müssen rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zusätzlich soll die Rolle der Vermittlungsagenturen rechtlich geklärt werden.
- Damit betreuende Angehörige besser unterstützt werden, soll der Bund regelmässig den Entlastungsbedarf auf kantonaler Ebene erfassen. Mit diesen Daten werden die politischen, ökonomischen sowie gesellschaftlichen Veränderungen festgehalten und es können Massnahmen ergriffen werden.
- Die Kompetenzen der Betreuenden müssen anerkennt werden, damit die finanzielle Unterstützung über den Art. 7 der Krankenpflege und Leistungsverordnung möglich wird (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV (2015). Das Bundesgericht hat hierzu bereits ein wegweisendes Urteil gefällt, worüber es einen Gastkommentar im Magazin der Bund gab: https://www.derbund.ch/wer-angehoerige-pflegt-soll-einen-rechten-lohn-verdienen-445298064011
- In Familien, wo kranke oder behinderte Kinder und Angehörige gepflegt werden müssen, sollte diese Arbeit unter bestimmten Bedingungen vom Staat entschädigt werden. Es könnte zum Beispiel über eine Betreuungsrente im Alter geregelt werden, damit die Betroffenen nicht auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind.
- Ausweitung des Projekts «Lohn für pflegende Angehörige» der Caritas Luzern. Diese Möglichkeit der Anstellung von betreuenden Angehörigen gibt es bereits in einigen Kantonen in unterschiedlichen Formen. Angehörige erhalten für die geleistete Grundpflege CHF 35.- pro Stunde. Die Grundpflege wird mit der zuständigen Krankenkasse abgerechnet. Das Arbeitsverhältnis wird mittels Arbeitsvertrags vereinbart. Es werden Sozialversicherungsabgaben bezahlt. Durch das Arbeitsverhältnis besteht beispielsweise auch Anspruch auf Ferien. Weitere Pflegeleistungen können nicht abgerechnet werden, sofern die betreuenden Angehörigen keine adäquate Ausbildung haben. Es geht sogar noch weiter, dass erlernte Pflegeleistungen ausserhalb der Grundpflege theoretisch nicht mehr geleistet werden dürfen, da die Angehörigen keinen entsprechenden Berufsabschluss vorweisen können. Damit diese erlernten Tätigkeiten trotzdem aus rechtlicher Sicht weiter ausgeführt werden dürfen, braucht es eine Gesetzesanpassung. Eine diplomierte Pflegefachperson unterstützt die Angehörigen regelmässig und leitet die Angehörigen an. Das SRF berichtete im Regionaljournal Zentralschweiz über das Caritas-Projekt: https://www.srf.ch/news/schweiz/pilotprojekt-der-caritas-ein-lohn-fuer-pflegende-angehoerige. Das Angebot der Caritas Luzern auf deren Homepage: https://www.caritascare.ch/de/angehoerige-pflegen.html
Quellen: Alle Quellen finden Sie im Positionspapier